Chopin Récital
Die hier zur Diskussion stehende Aufnahme ist nicht mehr taufrisch – immerhin produziert vor fast 20 Jahren, also schon gewissermaßen „historisch“. Gerrit Zitterbart, ein deutscher Pianist, spielt Chopin, befindet sich mithin im internationalen Wettbewerb um Kronjuwelen im Bereich eines nationalen Volkshelden, eines Komponisten, der immer wieder von den Einheimischen als einzig und allein seelig machend bezeichnet und nach Kräften auch verteidigt worden ist (Koczalski, Rubinstein, Malcuczinski, Ekier, Sztompka, Czerny-Stefanka, Askenase, Harasiewicz, Smendzianka, Zimerman, Blechacz etc.). Die gutingi-Veröffentlichung darf man ohne schlechtes Gewissen als puristisch bezeichnen: Karton-Hülle (Platz sparend immerhin, kein Begleitheft!), aber immerhin auf der Coverrückseite – gut leserlich! – erhält man die nötigsten Informationen was das Aufnahmedatum, den Aufnahmeort und die für die Produktion der Mitverantwortlichen anbelangt (unter anderen den Tonmeister Andreas Spreer, der sich später um das Label Tacet verdient machen sollte).
Zitterbart eröffnet seine Chopin-Botschaft mit dem Andante spianato, sorgfältig ausgeleuchtet in der oft in ihrer Bedeutung unterschätzten Behandlung der grundierenden Begleitmodulation. Im Lyrischen der Oberstimme lässt es Zitterbart nicht an Einfühlung für das Schöne und im besten Sinne Süßliche vermissen – und auch die immer wieder etwas steif anmutende „Orchesterüberleitung“ zur Polonaise hat Kraft und Saft. Mit der brillanten Polonaise wird man in Kenntnis mancher Einspielungen von (A)rgerich bis (Z)imerman nicht unbedingt zufrieden sein, was die Spritzigkeit in den explosiven, sozusagen weit über die Tastatur schnurrenden und glitzernden Passagen anbelangt. Aber Zitterbart zieht sich durchaus achtbar aus der Affäre.
Alles hier
Gesagte und zu Papier gebrachte wage ich auch auf die übrigen
präsentierten Werke zu übertragen: Solide Aufmerksamkeit im
Hinblick auf die jeweiligen Stück-Charaktere, solide Technik,
unauffällige gestalterische Natürlichkeit im Sinne guter
deutsch-polnischer Beziehungen. In Summe: Zitterbart wird mit seinen
Chopin-Darbietungen nicht die allergrößte Aufregung auslösen, aber
es zeigt sich auch, dass sich in heimischen Gefilden gelegentlich
Interpreten musikantisch zu Wort melden, die durchaus einen eigenen
Zugang zum Werk des polnisch-französischen Meisters haben – und
selbst mit den so verletzlichen, national-geheiligten Mazurken
ordentlich, ja bisweilen sogar Aufmerksamkeit erregend umzugehen
verstehen.
Klassik heute Februar
2011, Peter Cossé
»Die
Imagination eines Konzertes von Chopin« – eine Reise durch sein
Repertoire. Zitterbart schlägt einen Bogen von den frühen
Bravourstücken über die ausschweifenden Fantasien bis zu den populären
Walzern. Drei Mazurken zum Schluß, immer kleiner, immer dichter werden
die Kreise, um schließlich in Chopins letztem Werk diszipliniert zu
verlöschen. Eine zeitgemäße Interpretation, transparent, seelenruhig,
logisch-stimmig. Chopin strebte Bach und Mozart nach – und nicht
Tschaikowsky.
Amadeo November 1998
Der
Pianist Gerrit Zitterbart ist mehrfach auch solistisch auf
Schallplatten zu hören gewesen: mit Mozart, Beethoven und mit einer
interessanten Zusammenstellung von Musik unseres Jahrhunderts, die Sie
vor einiger Zeit im Schallplattenkonzert kennenlernen konnten. Nun hat
er ein »Chopin-Récital« aufgenommen. Der Titel hat seinen Sinn: der
Pianist versucht, ein Programm zu rekonstruieren, wie es der späte
Chopin liebte. Er beginnt effektvoll brillant mit dem frühen Andante
spianato samt Grande Polonaise. Über das Fantaisie-Impromptu cis-Moll
und die pianistisch höchst anspruchsvolle f-Moll-Fantasie erreicht er
in der Polonaise-Fantaisie As-Dur aus dem Jahre 1845 den Höhepunkt
seines Recitals. Darauf läßt er noch je drei Walzer und Mazurken
folgen, die zunehmend sich zurückziehen aufs Persönliche, auf
Erinnerungen wohl auch an die Jugend in Warschau und die schließlich
mit der letzten Mazurka in Melancholie versinken.
Ich möchte Sie,
meine verehrten Hörerinnen und Hörer, gleich zum Höhepunkt dieses
Programms führen, zu der Polonaise-Fantaisie op.61, die alle Facetten
von Chopins Kunst und alle Möglichkeiten des Pianisten zu zeigen
vermag. (Hörbeispiel) Diese Fantaisie-Polonaise Frédéric Chopins, wie
aus nachdenklicher, sich vorantastender Improvisation entstehend, im
Trio zum Nachtstück sich verdunkelnd, ist frei von allem donnernden
Polonaisen-Wesen. Und Gerrit Zitterbart gibt noch dem dichten Klang
Farbe, verleiht, fein differenzierend, nicht nur führenden Linien,
sondern auch der Begleitung Leben, zeigt ebensoviel Brillanz wie
Nachdenklichkeit. Angesichts der Unzahl berühmter Vorbilder mochte sein
anspruchsvolles Chopin-Programm als Wagnis erschienen. Aber trotz
einiger eckiger Momente, harter Akzentuierung, weitgehendem Verzicht
auf poetisierende Weichzeichnung scheint sein Chopin-Spiel daraus, daß
er kein Chopin-Spezialist ist, eher Nutzen zu ziehen.
Hessischer Rundfunk Das Schallplattenkonzert November 1994