Mozart Sonaten, Beethoven Sonaten

Der junge Professor an der Hochschule Hannover darf sich einer vorzüglichen Technik rühmen, in Sachen Geläufigkeit und Kraft, vor allem aber in der Fähigkeit, Klangfarbe und Phrasierung vielfältig zu variieren. Da kommen dann auch Fantasie und ein subtiles Ohr ins Spiel. Zudem denkt Gerrit Zitterbart offensichtlich über die Werke nach; so gelingen ihm sinnvolle und überzeugende Interpretationen selbst da, wo sie zunächst überraschen. Ein Beispiel: Die begleitenden Akkorde im Kopfthema von Mozarts a-Moll Sonate spielt der Künstler härter als gewohnt; aber sie sind in Mozarts Klavierwerk, soweit ich sehe, ein Unikum, und das rechtfertigt eine einmalige Behandlung. Zwei Platten liegen vor, zweimal Sonaten, Mozart und Beethoven. Schon die Wahl der Beethoven-Sonaten gefällt: endlich einmal nicht die übliche Trias Pathetique – Mondschein – Appassionata, sondern die D-Dur Sonate op. 10/3, ein fesselndes und hochoriginelles Jugendwerk, die d-Moll Sonate op. 31/2 und die Waldstein-Sonate C-Dur op. 53. Der Stil wirkt bewusst und lebendig zugleich. Die Tempi sind eher auf der raschen Seite, auch in den langsamen Sätzen, aber nie gehetzt, sondern eher beschwingt. Der vorzüglich aufgenommene Bösendorfer klingt durchsichtig und klar. Diese Auffassung stellt das Schlank-Klassische heraus: gleichsam »entwagnerter« Beethoven. Die inneren Spannungen gehen nie verloren, nicht einmal in Sätzen, die notorisch schwer zu gestalten sind, wie das Finale von op. 10/3: Schon das erste, drängend-fragende Motiv zieht den Hörer in das Geschehen hinein. Auch die beiden anderen Schlußsätze verdienen besonderes Lob: Das bewegte Tempo in op. 31/2 bringt den dramatischen Gesamtaufbau zwingend zur Geltung, im op. 53 entfaltet sich bestrickender Klangzauber. Diese Klangsinnlichkeit gefällt, sie stellt Ausdrucksgegensätze heraus und macht Strukturen klar; hin und wieder führt sie zu extremen Kontrasten, wie im Kopfsatz von op.31/2. So gewinnt die Musik Wucht, so sie vonnöten ist, oder pulsierende Tiefe, wie in den langsamen Sätzen.
Die drei Mozart-Sonaten KV 310 a-Moll, KV 330 C-Dur und KV 333 B-Dur sind kaum weniger fesselnd, vor allem die erste in a-Moll. Die Frage ist nur, ob unser Konzertflügel für so zarte Gebilde nicht zu massiv ist und immer wieder zum Zurücknehmen an der falschen Stelle zwingt. Das zeigt sich vor allem in den schnellen Läufen von KV 333, die hin und wieder etwas nervös wirken; dagegen kommen die heiklen Passagen in KV 310 schön flüssig heraus. Dennoch ist die Aufnahme keineswegs gleichgültig; dass hier eine Persönlichkeit am Werk ist, die Aufmerksamkeit verdient, ist in keinem Takt zu überhören.
Musik und Theater Juni 1991