Mozart Sonaten, Mozart Konzerte, Beethoven Sonaten,

Chopin Balladen, Sonate, Nocturnes

Als Pianist des Abegg-Trios hat Gerrit Zitterbart schon einige Schallplatten-Meriten erworben, doch der Vierzigjährige baut auch an seiner solistischen Karriere. Die Programmwahl seiner Aufnahmen beweist, daß er Ansprüche stellt und anscheinend keine Angst vor der Konkurrenz hat. Konkurrenzlos allerdings ist vorab schon die klangtechnische Sorgfalt des von Zitterbart für seine Soloaufnahmen bevorzugten tacet-Labels. Der tacet-Produzent Andreas Spreer bevorzugt hervorragend restaurierte Röhrenmikrofone, lehnt ein zu hochtönig geschöntes und so fast gedoptes Klangbild ab und verzichtet auch auf die direkteste Nahaufnahme. Und wenn schon die Aufnahmetechnik des tacet-Teams äußerst sorgfältig arbeitet, dann darf auch der Interpret nicht nachstehen. Gerrit Zitterbart hat sich aus guten Gründen für verschiedene Instrumente entschieden. Für die Filigranmusik von Mozart und Chopin fiel seine Wahl auf einen Steinway-Flügel, während für Beethovens abgründige Klangvorstellungen ein mächtiger Bösendorfer Imperial sehr gelegen kam. Zu dem immer wieder natürlichen Klangbild gesellt sich Gerrit Zitterbarts Vorliebe für klare Strukturen. Schon die beiden live aufgezeichneten Mozart-Konzerte musiziert der Solist mit aller gebotenenen zierlichen Eleganz, ohne indes die melodischen und harmonischen Schwerpunkte zu vernachlässigen. Da herrscht eine sehr lockere Atmosphäre. Das Orchester jedoch erreicht die luftige Präzision des Solisten nicht gleichermaßen. Als Interpret dreier Mozart-Sonaten ist Gerrit Zitterbart von allem orchestralen Ballast entfernt. Hier kann der Pianist alle Vorzüge des ebenso intelligenten wie subtilen Gestaltens uneingeschränkt entfalten. Seine solistische Souveränität zahlt sich gleich mehrfach aus. Einerseits kostet Zitterbart harmonisch riskante Passagen etwa mitten im langsamen Satz der B-Dur Sonate so geschmackvoll aus, daß das Ohr Zeit zum Nachspüren der Verwicklungen findet. Dann wieder werden gesangliche Linien so organisch geformt, daß Mozarts in den langsamen Sonatensätzen notierter Zusatz »cantabile« sich fast von selbst versteht. Schließlich riskiert es Zitterbart wenn notwendig, auch aus der klassischen Ausgewogenheit auszubrechen – er musiziert das Presto-Finale aus der a-Moll-Sonate so atemlos, wie es komponiert ist.
Zitterbarts Beethovenspiel kehrt die schroffen Kontraste der Lagen und Lautstärken deutlich hervor. Zu hören ist trotz kontrolliertem Spiels immer wieder das alle Normierungen sprengende Ungebärdige. Bohrende Intensität etwa in der aus einem Dreitonmotiv gespeisten Entwicklung im Finale der D-Dur-Sonate ist Zitterbart ebensowenig fremd wie die Magie eines zwischen Dur und Moll schwankenden Pedalzaubers im letzten Satz der »Waldstein«-Sonate. Im Kopfsatz der »Sturm«-Sonate gelingt Zitterbart ganz Außergewöhnliches – er beschwört in dem rezitativischen Einschub jene »Luft vom anderen Planeten«, die viel später das fis-Moll-Streichquartett von Arnold Schönberg durchziehen wird.
Trotz ihres romantischen Charakters nähert Gerrit Zitterbarts Chopins Klavierpoesie unüberhörbar an Mozarts filigranen Stil an. Er musiziert die feingliedrigen Nocturnes weit entfernt von kitschiger Larmoyanz nicht im Plüschsalon, sondern im lichtdurchfluteten Atelier, pumpt den Erzählton der Balladen nicht mit übertriebenem Pathos auf und achtet bei den vier Sätzen der h-Moll-Sonate auf Ausgewogenheit selbst dann noch, wenn das rasche Finale ansteht. Da wiederum folgt der Pianist dem Komponisten ganz direkt, denn Chopin schränkte das Presto durch den Zusatz »non tanto« (nicht sehr) ein.
Hannoversche Allgemeine Zeitung August 1992